Die Sache mit der Inspiration
„Was hat dich zu diesem Buch inspiriert“, werde ich immer wieder gefragt, zuletzt bei der Bücherparty von Papa.Hirsch.liest auf Instagram. Inspiriert ist in diesem Fall kein besonders treffender Begriff, denn Inspiration, dieser unverhoffte Augenblick, in dem man von einem künstlerischen Geistesblitz getroffen wird, fühlt sich normalerweise anders an. Inspiration war es also nicht, die mich dazu gebracht hat, das Buch zu schreiben, aber natürlich gab es einen Anlass: den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Lasst die Kinder in Frieden
Jetzt ist etwas derart Barbarisches und Menschenverachtendes wie ein Krieg nichts, worüber ich in einem Kinderbuch schreiben möchte. Es ist nämlich nichts, was ich meinen Kindern selbst vorlesen würde. Kinder haben genug eigenen Probleme, sie müssen sich nicht noch zusätzlich mit dem rumschlagen, was die Erwachsenen so verbocken. Aber doch… aber doch… das Thema ließ mich nicht los, und zwar aus zwei Gründen.
Kleine Sorgen, große Sorgen
Erstens ist das Thema Kindern vielleicht doch gar nicht so fremd. Meine Oma seufzte früher öfters: „Du hast es gut, du hast noch keine Sorgen!“ Ich war kein Kind, das viel widersprach, aber ich weiß noch genau, was ich damals dachte: Natürlich habe ich Sorgen. Sonst würde ich ja nicht so viel weinen. Meine Sorgen kommen euch Erwachsenen vielleicht unwichtig vor, aber für mich sind sie genauso wichtig, wie eure Sorgen für euch. Und ich weiß auch noch, dass ich mir damals vorgenommen habe, diesen Augenblick und diesen Gedanken nicht zu vergessen. Ich wollte mich daran erinnern, wenn ich dereinst groß sein würde. Dieses Versprechen der kleinen Annika gegenüber habe ich gehalten. Und es ist vielleicht einer der Gründe, warum ich heute Kinderbücher schreibe.
Ein Fünkchen Hoffnung
Zweitens waren natürlich auch all die skrupellosen Diktatoren von heute mal kleine Kinder. Es ist vielleicht vermessen zu denken, dass sie sich anders entwickelt hätten, wenn sie nur die richtigen Bücher gelesen hätten. Deshalb entschied ich mich, als ich mir darüber Gedanken machte, was für ein Kinderbuch ich schreiben wollte, für ein Buch mit ganz konkreten Vorschlägen, wie man den Frieden tatsächlich lernen und bewahren kann. Vorschlägen, die sich wirklich umsetzen lassen. In Klassen, in Familien, in Gemeinden, in Vereinen, überall, wo Menschen zusammenkommen. Wenn nur ein winziger Funke Hoffnung besteht, die Welt mit einem Buch ein bisschen besser zu machen, sollte man es doch wagen! Also wagte ich es.
Mitten ins Leben der Kinder

„Wie wir den Frieden lernten“ hat also nichts mit irgendwelchen realen Kriegen in der Welt zu tun. Es spielt sich da ab, wo sich auch die Kindersorgen abspielen: In ihrem direkten Umfeld. Es beginnt mit den Kindersorgen von Hilda, die verglichen mit dem, was sie später umtreibt, völlig harmlos sind: Warum gehen meine Schleifen immer auf? Wann bekomme ich endlich Taschengeld? Warum kann ich nicht richtig gut pfeifen? Später, am Ende des Buches weiß Hilda diese Sorgen zu schätzen. Sich darüber zur sorgen heißt nämlich, dass man es ziemlich guthat. Dass man im Frieden lebt. Frieden zu definieren ist nicht einfach. Ich bin keine Philosophin, deshalb mache ich es mir einfach. Für mich ist Frieden die Abwesenheit von Krieg. Dass der aber abwesend bleibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür muss man kämpfen. Und das lernen Hilda und ihre Mitschüler*innen, als sich plötzlich zwischen der A und der B ein Krieg entspannt.
Ein literarischer Kniff

In „Wie wir den Frieden lernten“ ändere ich im Laufe des Buches heimlich die Perspektive. Am Anfang erzählt Hilda aus der Ich-Perspektive, doch mit dem Fortschreiten des „Kriegs“ zwischen den Klassen, wechsle ich geschickt und unbemerkt in die Wir-Perspektive. „Wir bekamen nicht genug. […] Wie stark und grausam wir waren!“ Und später: „Wir konnten es nicht glauben. Wir waren traurig. Wir waren fassungslos.“ So ein Krieg hat nämlich seine ganz eigenen Gesetze. Da kämpft eine Gruppe gegen die andere Gruppe. Teil einer Gruppe zu sein, heißt Zugehörigkeit, Angenommensein, Schutz. Eine Gruppe definiert, dass sie geschlossen ist. Es stärkt den Zusammenhalt in einer Gruppe, wenn sie sich gegen andere Gruppen abgrenzen kann. Mainz-Wiesbaden, Bayern-Preußen, Demokraten-Republikaner, die A-die B. Wer in der Klasse A ist, kann nicht auch in der Klasse B sein. Wir gegen die. Und das ist erstmal ein schönes Gefühl! „Doch alle sahen so einig aus. […] Ich spürte, dass etwas Großes im Gange war.“ Das ist Pathetisch. Und Pathetisches ist per Definition feierlich. Deshalb kehrt Hilda ihre eigenen Bedenken beiseite und schließt sich ihrer Gruppe an. Und jeder gelungene Streich ist ein Sieg. Denn dahinter steckt Kreativität, Planung, Umsetzung, Geschick, Mut und manchmal Glück. Und das wird gefeiert. Das fühlt sich gut an. Also geht es weiter. Aber wo ist die Grenze?

Vom wir zum wir
Doch dann, als der Konflikt eskaliert und die A und die B vor den Trümmern ihrer selbstgebauten Römerstädte stehen, fragt sich Hilda: „Warum hatten wir das getan, wir und die B? […] Waren wir nicht eigentlich friedliche und nette Kinder?“ Dieses Wir bezieht sich plötzlich auf alle Kinder. Es ist ein allumfassendes Wir. (Mein Mann und ich benutzen schon lange, lange Jahre zwei eigens dafür erfundene Wörter: Wir-o und wir-m. Das „wir ohne dich“ und das „wir mit dir“. Denn ganz oft waren wir irritiert, wenn ich z. B. erzählte, was „wir“ gemacht haben, aber er war gar nicht dabei. Unsere Lösung: Wir-o (ich und die Kinder) waren letztes Jahr doch in den Bergen, kurz bevor wir-m (ich und du) meinen Großonkel besucht haben. Ich empfehle diese Unterscheidung jedem!) Entsprechend müsste Hilda sagen: Warum hatten wir-m das getan? Und später denkt sie über die Kinder aus der A und der B: „Es ging uns allen gleich.“ – Das ist der Beginn des Friedens. Diese Erkenntnis. Wir haben uns gegenseitig Wunden zugefügt (Für die Erwachsenen: lustige Streiche, aber für Hilda ist es real und wichtig!), aber wir alle wurden verletzt. Es wird nicht besser, wenn wir weiter machen. Diese Erkenntnis wünsche ich mir für alle Kriegsparteien auf der Welt. Ja. Schlimme Dinge geschehen. Sie sind nicht wiedergutzumachen. Menschen haben Konflikte und können grausam sein. Aber um das Böse zu beenden, müssen wir uns daran erinnern, dass wir auch gut sein können. Und beginnen, aufeinander zuzugehen.
Die Wende
Das umfassende Wir, das Wir-m, ist die Wende. Es ist Hildas Erkenntnis, dass beide Parteien gleichermaßen beteiligt waren an diesem „Krieg“. (Hier unterscheidet sich das Buch übrigens maßgeblich von seinem Anlass. Es sind zwei Klassen auf Augenhöhe, die sich gleichermaßen ärgern, nicht eine große Klasse, die die kleinere zerstören und einverleiben möchte. Es geht mir nicht darum, einen bestimmten Krieg auf Kinderlevel nachzuzeichnen, das ist mir ganz wichtig nochmal zu betonen. Wie oben erklärt, geht es mir darum, aufzuzeigen, wie man aus den Konflikten wieder rauskommt. Das gelingt nämlich Hilda und ihren Schulkameraden aus der A und der B). In „Wie wir den Frieden lernten“ haben alle Kinder gleichzeitig das Gefühl, eine Grenze überschritten zu haben. Wie wenn ein anfangs spaßeshalber begonnener Kampf esklaiert und dann plötzlich aufhört, sobald beide Kinder merken, dass ihre Nasen bluten. Und sich dann erst mal verdutzt gegenüberstehen. In „Wie wir den Frieden lernten“ sind es die zerstörten Römerstädte, die innehalten lassen. Nicht zuletzt sollen sie vor den Eltern präsentiert werden. Schon morgen! Jetzt müssen die Kinder zur Vernunft kommen. Sie können die Sache am besten gemeinsam lösen…
Wie lernt man nun den Frieden?
Da alle Kinder gleichzeitig im selben Dilemma sind, fällt es ihnen relativ leicht, aufeinander zuzugehen: Sie sitzen im selben Boot. Und sie denken nach. Was ist schiefgegangen? Wer hätte eingreifen können, wie und wann? Was kann man machen, um den Frieden zu bewahren? Wie können wir miteinander umgehen, damit kein Krieg mehr entsteht? Welche Maßnahmen können wir auch in Friedenszeiten ergreifen? Die beiden Klassen gestehen sich ihre Schuld ein. Und dann brainstormen sie. Gemeinsam. Hilda kann ihren Augen kaum trauen, als sie das sieht. Ihre Idee funktioniert. Ihre Vision wird wahr. Anstelle ihrer Römerstädte präsentieren sie schließlich den Eltern ihre Ideen für den Frieden: Von Gesprächsregeln über den Mut „Stopp“ zu sagen, von Austausch-Projekten über Meditationen, gibt es so viele Dinge, die wir tun können, um Frieden zu finden und zu bewahren. Und zum Schluss kann man Bücher darüber schreiben. Und sie (vor)lesen.


Hinterlasse einen Kommentar